Hans-Peter Anschütz – Ich hasse Freiburg

Das darf man nicht sagen. Man muß Freiburg immer mögen.

In Freiburg gibt es nur zwei Jahreszeiten: Herbst und Sommer. Der Herbst beginnt, wie andernorts auch, ungefähr im September. Aber er geht bis Mitte Juni und dann bricht schlagartig der Freiburger Sommer aus.

Der Herbst ist hier nicht fröhlich-bunt oder golden, wie etwa in der Pfalz. Nein, bei der Sonnenglut im Sommer sind die Blätter alle an den Bäumen braun geworden und zum Teil auch schon im August abgefallen. Der Herbst in Freiburg, der neun Monate dauert, ist grau. Dunkelgrau. Eine schwarze Wolkendecke verdunkelt durchgehend den Himmel und es wird nie richtig Tag. Über die Polarnacht kann ich nur müde lächeln. Niedergeschlagen vom nicht enden wollenden Mangel an Licht. Die einzige Variation ist der Eisregen, der plötzlich kommt, immer wenn man gerade draußen ist, und der alles klamm macht. Was Graupel sind, habe ich, aus der Pfalz kommend, erst in Freiburg gelernt. Wenn, wie in anderen Gegenden, ein Ende der kalten, nassen Dunkelheit absehbar wäre, könnte man es ja noch aushalten; aber in den Monaten, wo in normalen oder schönen Regionen die Kinder Schneemänner bauen und man das Auge über weiße Landschaften und Gärten schweifen lassen kann, vielleicht bei klirrend blauem Himmel, in diesen Monaten gibt es in Freiburg keine Veränderung, es sei denn daß die Graupelmatschlachen, die in die Schuhe kriechen, etwas größer werden. Es bleibt unverändert dunkel. Mittags fahren die Autos mit eingeschaltetem Licht. Wenn man neu hier ist, dann wartet man auf den Frühling, der überall sonst das Land und den Himmel von der kalten Jahreszeit befreit und die Natur wieder sprießen und grünen läßt. Aber der bleierne Deckel aus eintönigem Grau bleibt auch dann unverrückbar über dieser verfluchten Stadt liegen und drückt mit seiner ganzen Last aufs Gemüt. Zermürbt es. Quält den Verzweifelnden, der bereits am seelischen Nullpunkt angekommen ist, stetig weiter und weiter. Erst denkt man noch: Freiburg ist ja so eine warme Stadt, bestimmt fängt der Frühling hier besonders früh an. Doch weder Februar noch März spenden Trost. Es bleibt unverändert dunkel. Der April vielleicht, der macht doch, was er will. Aber nicht in Freiburg. Dunkel. Naja, aber im Mai ist der Frühling wenigstens nicht mehr zu vermeiden. Da zerreißt er als unaufhaltsame Naturkraft sogar im hohen Norden alle Bande und drängt an allen Ecken und Enden triumphierend ans Licht. Nicht so in Freiburg. Hier bleibt es kampflos dunkel. Und man kann es nicht fassen: im Mai! Aber selbst der Juni verharrt in Dunkelheit und klammem Herbst und man läßt alle Hoffnung auf einen Wechsel der Jahreszeiten fahren. Man ist zerbrochen.

Und erst jetzt, erst wenn man zerbrochen ist, dann gibt es einen Umschwung. Doch nicht der ausgebliebene Frühling oder ein milder Frühsommer kommt. Nein: Ohne Übergang setzt der Freiburger Hochsommer ein, in seiner ganzen bösartigen Kraft. Man ist traurig im dunklen Herbst zu Bett gegangen und am nächsten Tag herrschen gleißendes Licht und brennende Hitze. Die Sonne ist zur Nova geworden, durchfährt es mich. Doch es ist nur der ganz normale Freiburger Sommer. Die Luft ist wie siedender Sirup. Das Licht schmerzhaft blendend. Die Hitze … die Hitze … Die Stadt ist ein einziger Glutofen, ein Inferno. Die Sonne, der böse Stern. Es tut sehr weh. Manchmal führen der starke Schmerz und die unendliche Erschöpfung zum Mystizismus: Alles ist Hitze, Hitze ist alles. Es sind nicht 35 Grad. Der Wetterbericht lügt. Die Temperaturangaben im Fernsehen sind hypothetische Werte aus realitätsfernen Versuchsanordnungen. 35 Grad im Schatten. Unsinn. So etwas wie einen isolierten Schattenbereich gibt es nicht. Der größte Teil der Oberfläche der Stadt wird direkt beschienen, heizt sich auf, glüht. Und diese glühenden Oberflächen strahlen natürlich ihre Hitze auch in die „schattigen“ Bereiche ab. Dort ist es daher genauso heiß. Sehr viel heißer als 35 Grad, Dutzende von Grad heißer. Unerträglich. Der böse Stern brennt so heiß, so heiß, daß das Blut gerinnt. Organisches Leben ist nicht mehr möglich. Wann kommt das Ende?

Und die Freiburger lügen. In ihrer Stadt sei immer gutes Wetter, ja das beste Wetter. Sie wollen die Menschen in ihre Stadt wie in eine Falle locken, damit auch andere leiden müssen, so wie sie leiden müssen.

Ich verstehe sie. Und ich empfinde dasselbe wie sie:

Ich hasse Freiburg.

3 thoughts on “Hans-Peter Anschütz – Ich hasse Freiburg

  1. Ich hasse Freiburg, ich meide die Stadt, ich kaufe seit Jahren da nicht mehr ein.
    Die STadt ist dreckig und überall lassen Leute alles liegen, aber dann Grün wählen.

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