Franziska Rauber – Von unten betrachtet (Teil I)

Rosarot beißt. Zumindest imaginäre Hunde, die schüchtern ihren Rückzug antreten. „Mrš, mrš, verpisst euch“, ruft sie ihren unsichtbaren Gegnern hinterher. Rosarot kullert ihre dunklen Augen in meine Richtung und fletscht ihre Zähne zu einem schiefen Lächeln. Sie streckt mir ihre Hand entgegen, die mir zerbrechlich klein vorkommt. Die Vorstellung, dass auch ihre Finger in einigen Jahren so groß wie die meinen sein werden, erinnert mich an Biologie, Zellwachstum, oder an das Wunder, das uns begleitet. Obwohl Buća Potok nicht der Ort ist, um an Wunder zu glauben.  Ein Wunder wäre, es hier heraus zu schaffen, der Enge der Wände zu entfliehen, eine Chance zu bekommen, irgendwo da unten in der Stadt. Auf den Bergen um Sarajevo ist der Blick ins Tal unbegrenzt, der Weg dorthin beschwerlich.  Wer ein Auto oder Geld hat schafft es in die Stadt, alle anderen sind gezwungen zu bleiben. Das ist die Unveränderlichkeit der Dinge oder die Schwierigkeit, die Geschichte, in die du hineingeboren wurdest, aus eigener Kraft umzuschreiben. In engen Reihen stehen die Häuser Schulter an Schulter, spenden sich im Winter Wärme und im Sommer Schatten, krallen sich in die Steigung des Berges als würden sie sich und ihre Bewohner festhalten. Immerhin haben die Menschen ein Dach über dem Kopf, es duckt sich, neigt sich bis kaum mehr Platz bleibt um frei atmen zu können. Die Wände nähern sich einander an, ganz subtil, bis kein anderer Zeitvertreib mehr bleibt, als Spachtelspuren und unverputzte Fugen zu zählen.

Im einem dieser Häuser wohnt Rosarot mit ihrer Familie. Wenn ich sie besuche, erscheint mir ihre Situation wie ein Geröllfeld, in dem sich Rosarot ihren Weg durchs Leben bahnt. „Hoću da šetam, ich will raus“, quengelt sie und zieht ihre rosafarbenen Schühchen an, die wie ein Fremdkörper vor dem Grau im Grau der Hauswand stehen. Gemeinsam mit ihr laufe ich die Straße vor ihrem Haus einmal vor, dann zurück bis der Teer in Schotter übergeht und sich hangabwärts zwischen den Häusern verläuft. Aus den Nachbarhäusern werden uns neugierige Blicke hinterhergeworfen und ich weiß nicht, ob es die balkanische Mentalität ist, oder ob tatsächlich eine gewisse Unfreundlichkeit Fremden wie mir gegenüber aufblitzt. Ich würde gerne meine Schritte beschleunigen, aber Kinderschritte sind nun mal kurz und wackelig, wie ein Klotz am Bein, ein verdammt niedlicher. Als ich umkehren will, möchte Rosarot weiterlaufen, den abschüssigen Hang hinunter, hinein ins Unbekannte. Ich binde ihr eine Mär von Zwergen und gefährlichen Hunden auf, um sie davon abzuhalten, weiterzugehen. Sie könnte auf die Idee kommen, es auch einmal alleine zu versuchen. Widerwillig folgt sie mir auf Hüfthöhe und ich frage mich, wie wohl die Welt von unten aussieht.

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