Antonia K. – Terror

„mach die augen zu“
wir sitzen in der straßenbahn, mit dem rücken zur fahrtrichtung. Ich hasse straßenbahnfahren. Ich tue das auch nicht freiwillig. Soviel steht fest.
Als mein Handy nach dem arbeiten klingelte, erkannte ich sofort an Maries stimme, dass sie aufgebracht war. Da sie mir allerdings keine näheren Informationen preisgeben wollte, entschied ich mich dazu mir zeit für sie zu nehmen. Es musste irgendetwas vorgefallen sein. Gestern ging es ihr doch noch gut.
„jetzt mach halt mal die Augen zu!“
„ne, dann wird mir übel…“ murmel ich in meinen schal. Es ist kalt geworden draußen. die straßenbahn ist völlig überheitzt. Dennoch habe ich meinen schal nicht abgelegt. Ich mag es nicht, so nackt am hals zu sein.
„geht’s nicht auch ohne Augen zu machen?“ frage ich obgleich ich die antwort schon kenne. Maries sinneserweiternde spiele werden schließlich immer nach ihren strengen spielregeln gespielt.
Nach dem warum zu fragen, habe ich mir irgendwann abgewöhnt.
„du hast gesagt, ich darf entscheiden was wir machen heute. Das gehört halt mit dazu…“ „das gehört halt mit dazu…“ wiederhole ich ihre worte mit verstellter stimme und ernte einen strengen Blick .
es ist immer anstrengend mit ihr. Vor allem ihre Wahrnehmung der dinge lässt mich oft abseits stehen. Aber dennoch ist sie mir teuer.
„wolltest du mir nicht eigentlich von deiner letzten nacht erzählen?“ versuche ich zu entkommen.
„später, jetzt mach die augen zu!“ Ungeduld schwingt im unterton.
Ich atme tief ein und mir wird bewusst, dass die luft die sich gerade in meiner lunge befindet, bestimmt auch schon in den lungen dieser ganzen andern menschen war. Ekelhaft. Ich hasse diesen gedanken. Er überkommt mich des öfteren.
Sie schaut mich an. Die Ungeduld ist jetzt auch in ihrem Gesicht zu erkennen. ach, was solls.
Ich schließe die Augen.
„ok“ setzt sie an: „also vor kurzen hab ich anne will geschaut…“
„warum guckst du denn bitte anne will?“ muss ich unterbrechen. Sie übergeht meine frage.
„es ging um die akute Gefahr durch Terroristen in Deutschland. da war eine Frau, die sagte, die deutschen hätten keinen Blick für die bestehende Gefahr. Und das es wichtig sei, herrenlose Gepäckstücke und tatverdächtige personen direkt zu identifizieren und diese der polizei zu melden. Ich beschreibe dir jetzt einen mann, der schräg vor uns sitzt und du sagst mir, ob er dir wie eine tatverdächtige person vorkommt:“
ohje, so was hatte ich geahnt…
„also… er hat dunkle haut und braune augen. Mhh… schwarze haare, schwarze mütze, schwarze jacke, einen Bart… und er tippt auf seinem handy herum… vielleicht schreibt er gerade seinem komplizen den anschlagsplan. Was meinst du, sollten wir nicht die polizei rufen?“
ich öffne die augen. sie strahlt mich an. Ich sehe mich erst mal um. Finde aber niemanden der auf ihre beschreibung passen könnte. Fordernd schaue ich in ihr Gesicht. Jetzt will ich wenigstens eine Auflösung. Sie deutet mir mit dem kopf die Richtung. Dort sitzt ein gerade mal sechzehnjähriger ausländisch aussehender Junge, dunkles haar, schwarze mütze, zarte andeutung eines oberlippenbärtchens, der mit seinem handy spielt.
Ich muss grinsen. „krasser bart“ kommentiere ich belustigt. das überlegene funkeln weicht aus ihren augen „deine mutter hat nen krassen bart…“
sie fühlt sich unverstanden. Dann wird sie ausfallend.
„ey, ich hab schon gerallt was du meinst…“ versuche ich sie zu besänftigen. „verstehst du nicht?“ sie gerät in Rage. ihr liegt anscheinend viel an der sache „die dinge sind in realität anders, als sie in worte verpackt erscheinen. Ich habe dir das klischeebild eines terroristen beschrieben und du wurdest panisch. Obwohl es sich nur um einen kleinen jungen handelt…“ „ungemein panisch, ich bin schließlich fast ausgerastet vor angst“ scherzel ich. Sie unterstellt mir oft unzutreffende Emotionen. Ich nehm das mit humor.
„eine beschreibung weicht zu 99% von dem wahren bild ab. Das, was jemand sagt kann einen ängstigen, aber sieht man es mit eigenen augen, ist es anders als gedacht!“
Innenstadt. Die Straßenbahn hält. Ich bin froh dass wir aussteigen müssen. Wegen der frischen luft und weil ich meine meinung so für mich behalten kann.
Wir schlendern über den weihnachtsmarkt. Auch das tue ich nicht freiwillig. Sie möchte aber. Marie erzählt endlich warum sie so zerknirscht ist. Sie beschreibt mir ausführlich warum ihr liebster seit gestern nacht zum vollhorst degradiert wurde. Ich höre zu und sage ein paar passende worte.
„Arschloch halt, was will man machen… magst du n paar maronen?“ ich nicke und greife in die Tüte, die sie zuvor für, wie ich finde, zu viel geld gekauft hat.
„sag mal kann ich dir überhaupt glauben, nach der lektion heute in der bahn?“ frage ich. Sie ist irritiert „wie meinst du das?“
„Naja du sagtest doch, dass eine beschreibung zu 99% von der wahrheit abweicht. Wie soll ich dir da glauben das er ein arsch ist, wenn ich ihn noch nicht einmal mit eigenen augen gesehen habe…“
„du bist doch bekloppt! Das kannst du doch nicht vergleichen! Ich habe dir gerade eine reale situation geschlidert… in der bahn gings um terrorismus! Mann kapierst du nicht: die drecks medien haben ein Segel namens Terror gespannt… die nutzen aus dass die sonne grade tief steht…und darum wirft es einen riesigen schatten… wenn du dich in den scheiß schatten stellst, also nur den beschreibungen der anderen zuhörst und nicht mal selbst nach oben guckst, wirst du nie feststellen, dass dieses segel in wahrheit winzig ist! Dieser schatten ist in realität auch nur winzig verstehst du… nur 1% verdammt. Und die dämlichen menschen blicken nicht, wie viel sonne eigentlich scheint!“
ich schweige. Das muss ich erst mal ordnen. „War das jetzt nur unzusammenhängender stuss oder hat sie recht?“ Frage ich mich, während wir weiterschlendern.
Marie hält an einer Telefonzelle an und nimmt den Hörer ab. „Willst du mein Handy benutzen?“ biete ich ihr an.
sie grinst „ne, nicht nötig… der anruf ist sowieso kostenlos“
erst während sie die 110 wählt fällt mir auf, dass sie ihren rucksack nicht mehr bei sich trägt. Ich zünde mir eine kippe an, schaue zur Seite und hoffe, dass nicht sehen unwissend macht… allerdings höre ich was sie sagt:
„ja hallo, ich bin gerade auf dem weihnachtsmarkt in der innenstadt, und da neben dem crepes stand, da stand ein rucksack, der mir verdächtig herrenlos vorkam… ich wollt ihnen das nur mitteilen, …. ja…man muss ja schließlich aufpassen in der heutigen zeit, nich?!…“
„was war drin?“ frage ich als sie auflegt. Überlegenes Funkeln, heute zum zweiten mal.
„Vielleicht eine bombe, vielleicht aber auch nur ein zerrissenes mathebuch, wer weiß das schon…“ ein kurzes Schulternzucken und ein Lächeln dazu. Bizarrerweise gefällt sie mir heute. „Lass uns zu mir, ich hab den Verdacht, dass es hier jetzt eh ungemütlich wird…“
wie gesagt; ich habe mir irgendwann abgewöhnt, nach dem Warum zu fragen…!

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