Laura la Barba – Toys r us

Er ist der unfreundliche Mitarbeiter mit dem eingeschlafenen Gesicht. Er sieht immer müde aus, sein Namensschild hängt immer schief und die bedeckte Hälfte seines Kopfes ist immer ein Grund für den Abteilungsleiter, die Augenbrauen kritisch zu heben und zu fragen, ob es draußen stürme.

Doch der unfreundliche Mitarbeiter namens Roy ist unbeirrbar und scheint die Anspielung nicht zu verstehen. An Roy ist nichts lustig, nur sein Name. Roy, der bei Toys R Us arbeitet, wird von den anderen Angestellten immer als ToyRoy gerufen und so auch manchmal den Kunden vorgestellt.

„Vielleicht kann Ihnen ToyRoy weiterhelfen, der ist nämlich Spezialist für die Altersgruppe 8-11.“

Noch acht Stunden. Es ist zehn Uhr morgens. Er stellt das „Givin is awesome – Toys R Us“-Schild vor den Eingang und rollt die überquellenden Wühltische mit Playmobilfiguren nach draußen. Dabei streut er eine Spur aus in Pappkistchen verpackten Plastikmenschen hinter sich her und beim Einsammeln sieht er die Miniaturnachbildung eines Astronauten, die aussieht wie ein Taucher nur in Weiß, mit den kreisrunden brauen Plastikaugen und den Schaufelhänden, dessen Körper man genau in eine Richtung verbiegen kann und zwar auf eine für Menschen motorisch völlig unmögliche Art, nämlich im 90° – Winkel genau über dem Arsch, aber er hinterfragt nicht mehr, sonst käme er nicht mehr zum Arbeiten.

Um elf kommen die ersten Mütter und lassen sich beraten, was man denn am besten einem Neun-bald-Zehnjährigen kauft, der sich für Bagger interessiert und ToyRoy sagt: „Wir hätten hier den Lego-Schaufelradbagger, der mit 3927 – Bauteilen zwar eine kleiner Herausforderung für aufgeweckte Jungs ist, aber es lohnt sich, denn sämtliche Elemente sind dank des mitgelieferten LEGO Power-Function-Motors ebenfalls motorisiert. Das sorgt für noch mehr Authentizität und Spielspaß.“ Sie nickt und kauft den Schaufelradbagger.

Vormittags hat er wenig zu tun, nachmittags aber kommen die 8-11jährigen und lassen ihn nicht mehr in Ruhe seine Streifzüge durch die Linoleumgänge mit den Bremsspuren von Einkaufswägen machen. Wenn er nichts zu tun hat, geht er immer wieder an dem Ventilator vorbei und wenn der kühle Wind ihn trifft ist es so, als würde er für die Zeit der Brise aus dem hintersten Ort seines Kopfes hervorschauen und für die Zeit ist er woanders und dann hat er Salzgeschmack auf der Zunge und er kann einen blauen Horizont sehen und zwischen seinen Zehen ist Sand. Dann wacht er auf, steckt seine Phantasie zurück in die Kopfkammer und um ihn herum ist alles kantig und aus Quadern, die grinsenden Gesichter auf den Verpackungen starren ihn aus den Gängen an und es riecht nach frisch aufgeblasenen Schwimmreifen und Turnhalle.

Roy mag die unfreundliche Mitarbeiterin, die mit den fusseligen Locken. Alles, was sie sagt klingt ironisch, aber nur in den Ohren derer, die dieses Plastikmuseum genauso verachten wie Roy. Ihre Freundlichkeit ist überspitzt und ihr Frust noch trotzig. Bei Roy ist alles schon ein bisschen abgestumpft.

Beide sitzen manchmal gemeinsam vor dem Ventiator, Roy träumt sich in einen Urlaub mit seiner Tochter und sie schmipft über die Kunden und die Mitarbeiter, deren Zufriedenheit (oder zumindest die Abwesenheit von Trotzigkeit) sie als Beweis für ihre blinde Trägheit, für ihre Dummheit hielt. Roy fragte sie einmal an einem Freitag, ob nicht er derjenige sei, der sich der Aussichtslosigkeit hingegeben hätte und die anderen nicht einfach einen Schritt weiter seien und gelernt hätten, alles Unabänderliche zu akzeptieren.

Sie meinte ohne zu zögern: „Das ist kein Schicksal, Roy, aber auch keine Wahl. Und die anderen sind selbst zu Kindern geworden hier, kein Wunder dass sie Plastik im Hirn haben, ehrlich, ich hasse es, hasse es, ich hasse sie alle. Wirklich alle. Dich nicht.“

Sie hatte ihn noch nie ToyRoy genannt.

„Wir reparieren kein Spielzeug. Sie können es aber gerne umtauschen“, erklärt Roy einem Kunden mit weinendem Mädchen an der einen Hand, in der anderen hält er eine kopflose Puppe.

In seiner Mittagspause setzt er sich manchmal neben die Hüpfburg und isst die Brote und hat Mitleid mit seiner Tochter, die die gleichen Brote heute in ihrer Schule essen muss.

Nur noch vier Stunden.

Die Hüpfburg neben ihm knarzt rhythmisch. Er kaut im Takt. Nie würde er seiner Tochter Spielzeug kaufen. Die Phantasie erstickt am Kunststoff und Roy hasst das Wort Kunststoff, weil es eine falsche, trügerische Bezeichnung ist. Fast schon ironisch.

„Was machst du da?“, fragt das Kind, das von der Hüpfburg geklettert war.

„Essen“, sagt Roy.

„Warum sitzt du hier? Willst du auch springen?“, fragt es weiter.

„Ich kann nicht springen“, meint Roy und schluckt den krümeligen Brotbrei.

„Hm. Bist du krank?“

Roy überlegt. „Ja, aber ich kann mir keine Medikamente leisten. Deshalb sitze ich hier.“

„Warum bist du krank?“

„Weil ich hier sitze“, antwortet Roy und bringt die leere Brotbox zu seinem Schließfach.

Er arbeitet weiter und trifft sich wieder mit ihr am Ventilator.

„Ich hasse es hier“, schimpt sie, „und dass ich mich eigentlich nicht beschweren kann, macht mich nur wütender. Ständig ist alles nur mittel. Wir sind graue Menschen, zu viel für Armsein und zu wenig damit es reicht. Die Leute beachten uns nicht, wir gehen unter in diesem grellen Spielzeug, so grau sind wir. Aber wir sind doch hier, wir haben ein Leben außerhalb der Regale. Ich hasse es.“

Als Roy den Wühltisch, dessen oberste Schicht abgetragen wurde, wieder nach drinnen rollt, fällt wieder dieser unmögliche Astronaut aus dem Korb, genau zwischen die Glasschiebetüren. Er steckt ihn in seine Tasche. Seine Tochter wollte Astronautin werden.

Roy stellt das „giving is awesome“-Schild wieder rein, holt die Brotbox und den Hausschlüssel aus dem Schließfach und legt das „Toys-R-Us“-Namensschld in den gähnen leeren Spind.

Dann geht er nach Hause, eine leichte Brise weckt den schlafenden Teil seines Kopfes und er lächelt, als er das leise Plastikklappern des Astronauten in seiner Tasche hört.

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